Ist es ein 'e' ?

Mundart-Lyrik und Berufsschwaben

Und immer wieder...

Man muss nie lange warten. Sobald ein schwäbischer Text in’s Spiel kommt, ist es nur eine Frage von Sekunden, bis beim Liederkranz Belsen eine energische, fast immer aber ergebnislose Diskussion darüber losbricht, wie bestimmte Worte im konkreten Kontext nun korrekt zu artikulieren, insbesondere aber auch zu transkribieren, seien.

Die Stunde der Berufsschwaben

Das ist die Stunde der Berufsschwaben. Man debattiert über die Statthaftigkeit eines Titels wie „Mir im Süden“ (gesungen im Männersachen-Konzert 2019) oder darüber, wie man bestimmte Abwandlungen des Vokals A gutteral erzeugt und in’s Liedblatt schreibt. Ein Dauerbrenner und leider ganz heikler Punkt ist die Belsener Lautverschiebung vom N zum M, die in dieser Darstellung um des Kosmopolitismus Willen nicht vollzogen wird. Hin und wieder sind die Fragestellungen auch ein wenig allgemeiner, beispielswese, ob ein Otto-Normal-Schwabe mit einem echten Belsener derartige Angelegenheiten überhaupt adäquat diskutieren kann. Dies geschieht gerne im feuchtfröhlichen Umfeld des après chansons („nôch’m sengå“)…..

…  verschiedentlich aber auch schon während der eigentlichen Probe. Auslöser ist dann meist eine Anfrage des Chorleiters zu bestimmten phonetischen Besonderheiten des Schwäbischen. Ihm können wir nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen bezüglich des Schwäbischen in der Lokalvariante Belsen sicherlich Level A2 (Grundlegende Kenntnisse) attestieren. Im Mittel dürfte der Liederkranz unter Berücksichtigung der Projektsänger bei B2 (Selbstständige Sprachverwendung) liegen, wobei die Streuung breit ist und bis zum Toplevel C2 (Annähernd muttersprachliche Kenntnisse) reicht. Da diese Debatten zu Lasten der Probezeit gehen, stoßen sie nicht bei jedem auf Verständnis. Im Bild (Fotograf: Thorsten Teichert) sehen wir den verlässlichen Projektsänger Thomas Diether, der im normalen Leben Posaune spielt (Posaunenchor des CVJM Belsen), und damit über die linguistischen Querelen der Sänger nur lachen kann. Von einer völlig anderen Gefühlslage kündet dagegen die Mimik des Herrn im Hintergrund, eines der Tradition (Fachgebiet: Herstellung von Wurstwaren) eng verbundenen Stammsängers…

Jüngster Fall: Mössenga, m'r sengat

Zwar stammt der Text des Lieds zum Jubiläum der Stadt Mössingen aus der Feder eines Mitglieds des Liederkranz Belsen (Christof Zanke), doch aufgrund der Zeitverschiebung zwischen der Langgass-Schule (Probelokal der Chorgemeinschaft Mössingen) und dem Gottlieb-Schwarz-Gemeindehaus, fand der Erstkontakt zwischen Sängern und Liedblatt durch die Chorgemeinschaft statt. Im Text dieses Liedblatts wird nicht nur „Mössenga“ mit ö in der ersten Silbe, sondern auch noch ganz inkonsequent mit a statt en am Ende buchstabiert. Halbschwäbisch. Als das Liedblatt erstmals in Belsen verteilt wurde, wusste unser erfahrener Chorleiter Johannes Söllner, der seit September 2023 auch die Chorgemeinschaft Mössingen dirigiert, dass dies ein gefundenes Fressen für die Großmeister der Schwabologie sein würde.

Taktisch clever berichtete er daher gleich zu Beginn, dass bereits die Chorgemeinschaft über ihn hergefallen sei und ihm nebst einiger anderer phonetischer Details erklärt habe, dass in der ersten Silbe des Stadtnamens in einem Schwäbischen Text nur ein e zu akzeptieren sei.
Ein Klick auf das Bild zeigt, wohin das führen kann.

Dankbar für die durch die Chorgemeinschaft geleistete Vorarbeit konnten wir unmittelbar zum Singen übergehen.

Wer jedoch bei den letzten Proben genau hinhorchte, musste feststellen, dass damit die Aufarbeitung dieses Falls in Belsen noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Immer wieder waren dort Ö’s zu hören…

Da das Liedlein auch davon kündet, dass in Mössingen zwar ein Haufen g’standne Leidla, aber auch diverse Uni-G’scheidla leben, sahen wir uns gezwungen, wissenschaftlich belastbare Quellen heranzuziehen.

Und nun endlich herrscht Klarheit:

Durchblick: Es ist ein 'e' !

In der Ausstellung 1250 Jahre Mössingen … und mehr, ist die Replik der Schenkungsurkunde eines gewissen Hitto zu sehen, in welcher die Messinger Marken („In Messingermarca„) genannt werden. Wir empfehlen dies kleine aber feine Ausstellung wärmstens. Die Tonnenhallen sind immer einen Besuch wert, und die Ausstellung hat auch zum Thema Mössinger Chöre etwas zu sagen. Wir danken der Leiterin für Museum und Archiv, Frau Dr. Franziska Blum, für die Erlaubnis, das Exponat zu fotografieren und hier zu zeigen.

Ein Klick auf das Bild (Liederkranz Belsen) verhilft zum Durchblick.

Ausblick: Es ist noch nicht vorbei...

Für die Schwabologen ist damit aber noch lange nicht Schluss. Bereits auf unserem Konzert am 20. Juli 2024, auf dem wir die Sommerhitz präsentieren, werden nebst einigen anderen die Belsener besungen. Hierbei droht Ungemach. Denn die Belsen(m)er Lautverschiebung vom N zum M wird auch dabei glatt ignoriert, und für die Innehaber des Sprachzertifikats Belsemerisch C2 (annähernd muttersprachliche Kenntnisse) geht das gar nicht…

Aber das hat noch ein paar Tage Zeit. Zunächst freuen wir uns umso mehr auf den 7. Juli 2024, wenn wir auf dem Jubiläumssommerfest neben einigen anderen Liedern gemeinsam mit der Chorgemeinschaft 1836 Mössingen e.V. und dem Liederkranz Talheim 1862 e.V. das neue Mössingen-Lied „Mössenga, m’r sengat“ uraufführen dürfen.

Augenblick, eins noch zum Schluß:

Danke, Hitto, dass wir das klären konnten!

Durch Deine Selbstlosigkeit, dir diesen Fetzen Land – no ned vo d’r Alb ra ond weit g’nug vom Neckar – schenken zu lassen, gabst Du uns nicht nur eine zeitliche Einordnung, sondern auch eine linguistische Handhabe zur korrekten Aussprache unseres Jubilars.

Einen wie Dich könnten wir brauchen! Möglicherweise hast Du ja noch mit dem deutlich jüngeren Walther von der Vogelweide gesungen. Wir haben auch viele Walters! Allerdings von der Streuobstwiese.

Aber denk drüber nach: